"Ich habe früher oft gehört, dass ich ruhiger sein soll, weniger anstrengend, ich sollte mich besser im Griff haben. Ich habe als Kind schon immer viel wahrgenommen, viel gefühlt und hatte glaube ich auch immer viel zu erzählen. (...) Mir war wichtig, dass ich mich mitteilen konnte und ich musste schon immer über das sprechen, was in mir vorgeht. (...). Leider wurde das sehr negativ dargestellt und mir wurde immer wieder suggeriert, dass ich mich verändern soll. Heute als erwachsene Frau fühle ich mich direkt zu viel oder zu doll, zu laut oder so fordernd, wenn ich meine Gefühle und Bedürfnisse benenne. (...). Dabei hat sich an der Art, wie ich fühle oder mein Bedürfnis mich mitzuteilen nicht verändert. Nur die Angst davor, ich selbst zu sein und damit für andere eine Belastung, die ist gewachsen (...)."
Wenn ich in meinen Workshops und Coachings meine Klient*innen frage, welche positiven Eigenschaften, Kompetenzen und Merkmale sie sich zuschreiben würden, dann fällt ihnen oft nur schwer etwas dazu ein. Still und leise, nur für sich selbst, sind da bestimmt ein, zwei, drei oder sogar mehrere tolle Inhalte, die sie bei sich selbst sehen - nur, aussprechen?! Das geht nicht oder oft nur mit Bedingungen.
"Ich kann freundlich sein, wenn ich merke, dass meine Schüler*innen sich total Mühe geben"
"Ich bin klug, wenn es um die Inhalte meiner Arbeit geht"
Manchmal finden diese positiven Bewertungen über sich selbst mit Einschränkungen oder Abstufungen statt, dass kennst du ja vielleicht auch?!
"Ich bin glaub ich schon nett. Ok andere sind vielleicht noch netter als ich...."
"Ich glaube ich bin auf jeden Fall nicht blöd, ob jetzt intelligent... also es gibt schlauere Köpfe als meinen, aber blöd bin ich nicht."
Den meisten Menschen fällt es schwer, sich selbst positiv wahrzunehmen und vor allem, sich auch so zu fühlen. Kein Wunder! Denn in den wichtigen Instanzen unserer frühkindlichen Entwicklung wird uns zu oft gepredigt, dass unsere Stärken nur dann wirkliche Stärken sind, wenn sie ins Anforderungsprofil des Bewertenden und / oder der Gesellschaft passen.
Ein Beispiel: In der Schule werden unsere Leistungen so gemessen, dass es in keinem Fall um Inhalt geht. Es geht darum, wie gut oder schlecht wir vermitteltes Wissen wiedergeben können. Wer das also gut kann, der profitiert vom System und bekommt eine entsprechend gute Leistung in Form einer guten Note. Und machen wir uns nichts vor: Wer gut in der Schule ist, der darf sich selbst auch positiv wahrnehmen. Was wir früh, schon lange vor der Schule lernen ist: Wer sich bestmöglich dem System anpassen kann, der wird als angenehm und positiv wahrgenommen.
Was aber, wenn das Anpassen schwer fällt, wenn die eigenen Stärken so gar nicht stattfinden in den Sozialisationsinstanzen: In den Kindergärten, Schulen, Kitas usw. Wenn ein Kind zum Beispiel kluge aber unangenehme Fragen stellt, wenn Abläufe nicht als gegeben hingenommen werden?! Wenn Kinder sich sperren und ablehnend reagieren?! Was, wenn ein Kind mitfühlen kann aber die Bruchrechnung Bauchschmerzen verursacht?!
Ja was dann? Wenn Menschen mit ihren Stärken nicht ins Anforderungsprofil unserer Leistungsgesellschaft passen? Was machen wir bloß mit diesen Menschen....
Es wäre doch eine Idee, alle diese Menschen jeden Tag mit ihren Defiziten in Kontakt zu bringen. Sagen wir ihnen doch von klein auf, was nicht gut genug ist, was anders laufen müsste. Am besten sagen wir ihnen ganz deutlich, dass sie weniger Wert sind, den mit dem was sie mitbringen, werden sie nichts besonderes oder nützliches leisten.
Ist ja auch schwer, diese ganzen sozialen Kompetenzen, messbar zu machen. Wo kommen wir denn hin, wenn das auf einmal alles ohne eine messbare Einheit funktionieren soll?! Dann müssten wir ja individuell hinsehen und die Menschen als Menschen wahrnehmen, mit ihren Geschichten, Erfahrungen, wir müssten mit ihren wirklich sprechen, uns ihre Gefühle und Gedanken anhören. Wir haben dafür in unserer Leistungsgesellschaft einfach keine Zeit!
Also sagen wir lieber: "Eigenlob stinkt", "Nimm dich nicht so wichtig", "Mach doch einfach, was dir gesagt wurde" usw. Kurz um: Bitte funktionier doch einfach!
Juni verlässt das Wohnzimmer ihrer Eltern. Mathi, ihr Bruder, feiert seinen 34. Geburtstag und da sein neues Haus noch nicht fertig ist, hat Mama natürlich direkt ihres angeboten. Wieder diese Vergleiche. Wer hat was geschafft im Leben. Mathi ist dabei immer anders als Juni. Mathi findet sich selbst, so glaubt Juni, richtig gut. Er erzählt von seinem Job als Anwalt und davon, was er da alles verändern will. Mathi hat Ideen und fast schon größenwahnsinnige Vorstellungen von einer gerechten Welt - und Mama und Papa hängen ihm an den Lippen, so wie alle anderen Personen im Raum auch. Mathi ist einfach ein toller Kerl, der viel Gutes zu erzählen hat. Juni hat ihn sehr lieb.
Nun sitzt Juni auf dem Klo und die Tränen stehen wie ein kleiner Teich in ihren Augen. Heute wollte sie nicht weinen, auf keinen Fall. Nicht schon wieder! Juni will nicht mehr weinen. Sie hatte genug rumgeheult und sich fest vorgenommen, ihre Leben in die Hand zu nehmen. "Du bist richtig super und du brauchst dich überhaupt nicht klein zu machen", hatte Mara, ihre beste Freundin, ihr gestern noch gesagt. Ja, wenn das so einfach wäre. Sie war mit ihrem Opel Corsa zu Hause losgefahren, hatte im Auto ihre Lieblingslieder gehört, darunter Taylor Swift, und hatte lautstark mitgesungen. An der Raststätte hatte sie sich einen Hafermoccachino gegönnt und die Sonne hatte sie angelacht. Es sollte ein toller Tag werden. Sie hatte Mathi jetzt bestimmt vier Monate nicht gesehen und sich sehr auf ihn gefreut. Doch als sie in die Straße ihrer Eltern eingebogen, von weitem die große Eiche im Vorgarten und das große Tor zur Einfahrt gesehen hatte, da war es, als hätte sie ihre ganze innere Stärke zusammen mit dem leeren Kaffeebecher in den Müll geworfen.
Juni fühlt sich wieder wie damals, als junges Mädchen. Weniger wert, klein, unwichtig und dumm. Eine Hauptschülerin eben; eine "die unsere Gesellschaft auch braucht. Die einfachen Jobs muss ja auch jemand machen", hatte Opa Günther gesagt. "Unsere Juni ist einfach ne ganz Liebe. Die findet ihren Platz. Und wer da nicht so viel erwartet, der wird auch nicht so schnell enttäuscht. Juni muss man so nehmen wir sie ist. Die ist vielleicht nicht so schlau wie der Mathi, aber sie ist ein nettes Mädchen." Alle finden, dass Juni nett ist. Nur Juni, die wünscht sich mehr vom Leben. Aber darf sie das? Ist sie klug und interessiert genug für diese Welt? Sind nicht andere viel klüger?
Es war schwer gewesen, sie auf der Hauptschule, ihr Bruder in der gymnasialen Oberstufe. "Du wirst schon irgendwann deinen Weg machen", hatte Papa gesagt. "In dir steckt was, wenn du nur nicht so faul wärst", sagte Mama ihr immer wieder. Juni hatte keine Ahnung, was sie mit ihrem Leben anfangen sollte. Es war immer unausweichlich klar gewesen, dass nichts in der Welt gleichzusetzen war mit dem, was Mathi eines Tages alles schaffen würde. Keiner hatte mitbekommen, was Juni sich alles vorgenommen hatte. Es hatte sich einfach niemand vorstellen können, dass Juni so richtige Pläne hatte. Juni hatte einfach "zu wenig Biss".
Zu wenig von dem was nötig war und zu viel von dem, was unnötig war. Rundherum noch nicht so richtig gut. Das ist Juni's Gefühl zu sich selbst. "Du bist richtig super und du brauchst dich überhaupt nicht klein zu machen" - Mara, die liebste Freundin auf der Welt. Juni weiß, dass sie gute, tolle und einzigartige Seiten hat. Nur hat sie keine Ahnung, in welchem Bereich ihres Lebens diese Seiten sie zu etwas besonderem machen.
Mathi sitzt im Wohnzimmer und wartet auf Juni. Sie ist nun schon eine ganze Weile aus dem Raum gegangen und er fragt sich, wo sie bleibt. Juni ist für ihn der Inbegriff der Freiheit. Sie hatte immer schon so gute Fragen gestellt, nicht einfach alles so hingenommen wie er. Sie war so offen und redselig, sie fand immer schon direkten Zugang zu anderen Menschen - eine Fähigkeit, die er stet's beneidet hatte. Juni ist seine liebenswerte, kluge und inspirierende Schwester. Ein Geschenk für diese Familie.
"Ich weiß ich bin klug, ich weiß, ich bin eine gute Freundin, ich weiß, ich bin ein netter Mensch." Juni spricht das alles aus, so allein im Bad. Sie versucht sich selbst zu regulieren. Doch das, was sie im Kopf denkt, dass erreicht ihr Herz nicht. Ihr Gefühl bleibt: Und damit die Traurigkeit.
Mathi sitzt später im Auto und denkt über das traurige Gesicht seiner Schwester nach, als sie nach einer Ewigkeit aus dem Bad zurückkam. Juni war direkt wieder lustig geworden, hatte erzählt, Witze gemacht und war kaum merklich verändert. Wenn sie doch nur sehen könnte, was er sieht, wenn sie vor ihm steht. Juni, seine Schwester, die er lieber hatte als alles andere auf der Welt. Juni hatte immer alles leicht gemacht, hatte sich nur selten beklagt und wenn ihre leichte Kritik wie immer direkt auf Gegenwind gestoßen war, dann hatte sie direkt zurück gerudert und alles weg gelächelt. Ihre wunderbaren Farben waren dabei nie zum leuchten gekommen.
Juni liegt abends im Bett und denkt über den Tag nach. Auf dem Handy hat sie eine PDF geöffnet: "Finde deine Stärken". Schwierig, findet Juni. Wirklich schwierig. Was ist denn eine Stärke? Das, was sie mitbringt sind doch eigentlich nur Eigenschaften. Manche von ihnen sinnvoller oder nützlicher als andere. Aber Stärken? Juni fühlt sich ganz ok, aber stark fühlt sie sich nicht.
... Mathi und Juni sprechen zu wenig miteinander. Zu wenig darüber, wie sie sich wahrnehmen, was sie übereinander denken und fühlen, wofür sie einander wertschätzen. Beide haben das nicht gelernt. In ihrer Familie gab es Werte und Bewertungen, und wenig Gespräche darüber, was das anrichten kann. Auch als Erwachsene können sie sich nur schwer der gelernten Bewertungsskala entziehen und neue Maßstäbe setzen. Dabei wäre so viel Miteinander möglich...
Vielen Menschen fällt es schwer, dass anzunehmen und vor allem zu fühlen, was an positiven Eigenschaften in ihnen steckt. Es ist so viel einfacher, sich für dich Fehler und schlechten Gewohnheiten zu entschuldigen, die man so hat.
"Wenn ich mich selbst klein mache, dann kann mich keiner emotional runterziehen. Ich stell mich selbst nicht so besonders dar, denn wenn einer auf der Welt das anders sieht - und Bewertungen finden ja ständig statt - dann könnte das mein Bild von mir irritieren. Sehe ich mich aber direkt negativ, dann kann ich nur positiv überrascht werden."
Weißt du, was das Problem daran ist? Wenn du dich stet's klein machst, dir selbst die tollen Eigenschaften, die du mit Sicherheit besitzt nicht selber zusprichst, dann wird dich irgendwann keiner mehr positiv überraschen können, weil dein Selbstbild durch und durch verzehrt ist.
Fang doch heute noch an und richte den Blick auf das Positive, dass du selbst in deinem Leben und im Leben deiner Mitmenschen verursachst. Es ist nicht nur erlaubt, sondern unheimlich wichtig, dass du dir selbst gute und wertvolle Eigenschaften und Merkmale zuschreibst!
Denk daran: Wenn du über dich sprichst, hören deine Ohren dir zu!
Und wenn du es nicht für dich tust, dann tu es für deine Kinder, Freunde, Eltern und alle anderen Menschen, die von dir lernen können. Du kannst dich heute hier dafür entscheiden, den Blick auf dich zu verändern, in dem du mit kleinen Schritten den Fokus auf das legst, was du mitbringst auf diese Welt. Oft sind die Dinge, die am wenigsten messbar sind, diejenigen, die am wertvollsten sind.
Ich wünsche dir einen ganz wunderbaren Start im positiven Blick auf dich und deine tollen Stärken,
Denise
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