Ein Tag allein in meiner Burg - die Depression in mir

Ein Tag allein in meiner Burg - die Depression in mir

Denise Winter
von Denise Winter

Für meine liebe Klientin S.

Ob ich mich heute wertvoll fühle? Keine Ahnung. 

Heute bin ich aufgewacht und habe aus dem Fenster gesehen und festgestellt, dass ich diesen Tag nicht für mich nutzen kann. Wenn du mich fragst, warum nicht, dann kann ich dir das nur so beantworten: Es ist eine innere Stimme, die mir erlaubt, die Tage zu genießen oder eben nicht. Als wäre ein Vorhang heruntergelassen worden und davor stände ein Schild mit der Aufschrift: HEUTE KEINE VORSTELLUNG. 

Ein Tag wie heute ist ein dunkler Tag. Ich öffne an solchen Tagen meine Augen und im Kopf gibt es so vieles, das ich tun könnte doch nichts davon kann ich wirklich tun. Es ist wie eingesperrt sein im eigenen Körper. Ich bin wie gelähmt oder betäubt, liege im Bett inmitten dieser grau-schwarzen Wolke aus negativen Gedanken. Es gibt keine Idee, keinen Geruch, kein Lied, keine Erinnerung, die mich fröhlich macht. In dieser Wolke bin ich immer allein. 

"Du musst einfach wieder mehr für dich machen", sagte mir meine Mutter vor einigen Tagen. Ich weiß, dass sie locker klingen möchte, sich aber eigentlich unglaubliche Sorgen um mich macht. Sie kann nicht verstehen, was es ist, dass mich immer wieder in diese Wolke zieht. Sobald ein weniger grauer Tag dabei ist, denkt sie sofort, es ist alles wieder gut. 

Doch das ist es nicht. Und wann das angefangen hat kann ich nicht genau sagen. ich weiß nur, dass ich nicht weiß, was ich tun soll, ich weiß, dass ich hilflos bin in meinem Kopf. 

Wenn ich im Bett liege und die Vögel draußen vor meinem Fenster höre, dann berührt mich das nicht. Denn: Nichts berührt mich dann. Nichts schönes oder leichtes findet den Eingang in meine Seele. Als würden zwei dunkle Wächter vor diesem Eingang stehen und jedes Schöne direkt wegschicken. Und innen, in meiner Burg sitzt meine einsame Seele und weint. Ich bin eingesperrt und weiß nicht, wo der Schlüssel ist. 

Ich kann mich erinnern, dass ich im Auto auf dem Weg zur Arbeit war und das Radio angestellt habe. Ich wollte nicht mehr die immer gleichen Lieder meiner Playlist hören - ich dachte, der immer gleiche Kram wäre Schuld daran, dass ich keine Freude an Musik mehr hätte. Im Radio lief direkt ein Lied, dass ich mochte, eines das ich früher rauf und runter und jetzt seit einer Ewigkeit nicht mehr gehört hatte. Ich wollte mitsingen, wollte Spaß empfinden. Aber da war nichts. Nur die plötzliche Frage in mir: Was ist mit mir los?

Die nächste Erinnerung ist die Einladung zu einer Freundin. Wir wollten dort gemeinsam Pizza essen mit anderen Freundinnen. Ich bin damals dahin gegangen, aber nicht, weil ich Lust drauf hatte, sondern weil ich mich verpflichtet gefühlt habe. Ich saß am Tisch und um mich herum war so viel los, doch nichts davon kam an mich heran. Auf die Frage was los sein, antwortete ich, dass ich wohl krank werden würde.

Ich bin zu dem Zeitpunkt bereits krank gewesen. Ich hatte schon da depressive Verstimmungen, die sich zu einer handfesten Depression entwickelten. Eine Krankheit, die keine ist, denn was man nicht sehen kann, dass kann auch nicht so schlimm sein. Etwas das man nicht erklären kann, weil man sich selbst ständig in Frage stellt. Es fehlen die handfesten Beweise - jene, die aus faul sein, krank sein machen.

"Stell dich nicht so an" ist einer dieser Sätze, die ich zu Beginn oft gehört habe. Von Freunden, von meinen Eltern, von Kollegen und irgendwann auch von meinem Partner - als er noch mein Partner war. Es ist ein Satz, der mir alles raubt. Ein Satz der mich mundtot macht, denn ich habe darauf keine Antwort außer: "ich kann nicht." Und das reicht den Menschen nicht. Es reicht nicht aus, wenn ich sage, dass ich das selbst nicht entscheide und das ich mir wünschen würde, es wäre anders. "Dann mach es doch anders". Was würde ich dafür geben. 

Immer dann, wenn mich Menschen kritisch hinterfragen und mir auch manchmal durch die Blume sagen, dass sie glauben, ich sei einfach bequem oder faul, falle ich noch tiefer. Denn wie soll ich es jemandem erklären, der das nicht kennt? Man kann es nicht sehen, nicht hören, nicht schmecken, nicht riechen. Die einzige Möglichkeit sich auch nur den Ansatz vorzustellen ist es über Empathie und Vertrauen zu versuchen. Aber das braucht die Bereitschaft, mich nicht direkt zu bewerten und sich mit mir zu verbinden -soweit das möglich ist. 

Ich liege allein in meinem Bett. Draußen scheint die Sonne, die Vögel zwitschern, es riecht nach Sommer. ich weiß das - ich fühle es aber nicht. Mein Körper ist meine Burg, mein Gefängnis. Ich bin eingesperrt. ich bin allein und einsam. Ich fühle mich weniger schlecht, wenn meine beste Freundin zu Besuch ist oder wenn ich bei meiner Therapeutin bin. Die reden nicht auf mich ein, sie wollen mich nicht zwingen, heute etwas anders zu machen als gestern. Sie fühlen und verstehen mich. Dann bin ich nicht mehr einsam, dann ist es, als hätten sie vor meiner Burg ein Zelt aufgeschlagen und wir würden über die Mauern miteinander sprechen. 

So entsteht in mir die Hoffnung, dass ich bald mal für einen Moment aus der Burg heraustreten kann. Vielleicht nicht lange, aber es wäre ein Schritt. Ich habe verstanden, dass ich diesen Schritt selbst machen muss, denn jedes Mal wenn ich darauf warte, dass mich jemand daraus holt, gerate ich in Abhängigkeit. Das ist mir auch schon passiert. Mit Micha. Der hat mich rausgeholt aus meiner Burg, hat mir die Umgebung gezeigt, mit ihm habe ich mich gut gefühlt. Doch als Micha eines Tages nicht mehr wiederkam und mir nur einen Zettel mit "Es tut mir Leid, ich schaffe das nicht" dagelassen hat, bin ich tiefer in meine Burg gekrochen als zuvor. Meine Therapeutin sagte mir, ich soll die Schritte selbst machen. Step by Step. Schritt für Schritt. In meinem Tempo. Dann bin ich selbstwirksam sagt sie. 

Ich werde also heute, auch wenn der Tag in einer grau-schwarzen Wolke angefangen hat, aufstehen und duschen. Ein erster Schritt. "Machen Sie sich eine Liste, haken sie ab, was Sie geschafft haben" - so die Therapeutin. Ok. So mache ich es, ich folge der Anleitung in meinem Tempo. 

Ich dusche, ich putze mir sogar die Zähne und ich stelle mir die Regel auf: Nicht vor 20 Uhr zurück ins Bett. Kein Handy, stattdessen irgendwas mit meinen Händen tun. Vielleicht das kleine Beet vor der Terrasse in Ordnung bringen oder etwas backen - auch wenn ich es nicht essen werde. Vielleicht ein Spaziergang oder ich male etwas. 

Ich werde etwas tun, damit ich gesund werde. Denn auch wenn es für dich vielleicht so aussieht, als hätte ich mich aufgegeben. Tief in mir habe ich das nicht. Für dich werden meine Schritte etwas sein, dass in deinem Leben ganz normal ist, etwas das du vielleicht mit Leichtigkeit tust. Für mich ist es eine Überwindung und eine enorme Anstrengung. Ich bitte dich: Vergleich uns beide nicht - da kann ich nicht mithalten. Wenn sich jemand ein Bein bricht und einen Gips tragen muss, dann lauft ihr zwei ja auch nicht um die Wette. 

Sei dir versichert. Ich gebe mein bestes - wenn ich kann.


Denise Winter
Denise Winter
Pädagogin und Coachin

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